Dieser Text ist 2012 erschienen unter „Schularchitektur als Rhetorik“ in: Manfred Blohm (Hrsg.) Als sie den Raum betraten … : Gedankenimpulse für Lernsituationen zum Themenfeld Räume und Orte. Ein (kunst)pädagogisches Lesebuch, Bd.1 Hamburg; kunst & pädagogik – eBook edition.

Hier ein ähnlicher Text zur Schularchitektur

„Von den durch die Rede geschaffenen Überzeugungsmitteln gibt es drei Arten: Sie sind zum einen im Charakter des Redners angelegt, zum anderen in der Absicht, den Zuhörer in eine bestimmte Gefühlslage zu versetzen, zuletzt in der Rede selbst, indem man etwas nachweist oder zumindest den Anschein erweckt, etwas nachzuweisen. Durch den Charakter geschieht dies, wenn die Rede so dargeboten wird, daß sie den Redner glaubwürdig erscheinen läßt. … Mittels der Zuhörer überzeugt man, wenn die durch die Rede zu Emotionen gelockt werden. Denn ganz unterschiedlich treffen wir Entscheidungen, je nachdem, ob wir traurig oder fröhlich sind, ob wir lieben oder hassen. … Durch die Rede endlich überzeugt man, wenn man Wahres oder Wahrscheinliches aus jeweils glaubwürdigen Argumenten darstellt.“ (Aristoteles, S. 12)

Schularchitektur kann unter vielen Aspekten betrachtet werden: Ressourcenverbrauch, Repräsentation der Gemeinde als Sachaufwandträger, Konzepte von Schule, Unterricht und Lernen, Herrschaftsinstrument, Ausdruck des geltenden Menschenbildes …

Hier soll Schularchitektur als ein Mittel der Rhetorik betrachtet werden. Im klassischen Sinne meint Rhetorik Kommunikation, die ihr Publikum überzeugen will. Dabei müssen wir beachten, dass die Einrichtung Schule multimodal (Kress 2010) kommuniziert und die Architektur nur ein Modus unter vielen ist. Daneben gibt es viele andere Modi: Gesten, Umgangsformen, Kleiderregeln, Sprechweisen.

Architektur als Zeichen

Gebäude haben in aller Regel praktische Funktionen: Schutz vor Witterung, vor Blicken, vor Dieben, vor Geräuschen … . Wenn bei der Gestaltung aus mehreren Möglichkeiten ausgewählt werden kann, lässt sich die Gestaltung als Zeichen für Absichten, Ressourcen oder Vorlieben dessen interpretieren, der diese Entscheidungen getroffen hat. Dabei muss niemand dezidierte etwas mitteilen wollen. Etwas wird in dem Moment zu einem Zeichen, wo es interpretiert wird, also von etwas unmittelbar Wahrnehmbaren aus etwas nicht unmittelbar Wahrnehmbares geschlossen wird.

Zeichen lassen sich nach der Interpretationsmethode systematisieren (Keller 1995). Es gibt genau drei solcher Methoden.

Bei Symptomen interpretieren wir aufgrund von Kausalität. Aus einem ungemähten Rasen können wir auf längere Abwesenheit, mangelnde Sorgfalt oder ökologisches Bewusstsein der Besitzer schließen. Grundsätzlich ist hier keine Kommunikationsabsicht notwendig. Wenn allerdings jemand sagt: ein ungemähter Rasen macht keinen guten Eindruck und ihn deshalb mäht, haben wir einen Sender vor uns, der uns – dem Publikum – etwas mitteilen will, „das einen guten Eindruck macht“.

Ikone werden aufgrund von Ähnlichkeiten interpretiert. Das klassische Beispiel sind Bilder, aber auch das „Wau-Wau“ ist ein Ikon. Es klingt ähnlich wie die Lautäußerung des damit bezeichneten Tieres. Ikone werden in der Kommunikation bewusst eingesetzt, sie setzen einen Sender voraus.

Symbole interpretieren wir auf der Grundlage von Regeln (Konventionen). Wörter in Sprachen sind derartige Zeichen.

Werden Symptome und Ikone immer wieder als die selben Zeichen verwendet, sparen wir uns oft das Schließen aufgrund von Ähnlichkeit und Kausalität, wir interpretieren mehr oder weniger automatisch bzw. regelhaft: Aus Symptomen und Ikonen sind dann Symbole geworden. Der rote Teppich – einst eine teure Sache und damit ein Symptom für Wertschätzung – ist so oft verwendet worden, dass er zu einem Symbol geworden ist, wir denken nicht mehr daran, dass hier dem Gast teures Material zu Füßen gelegt wird.

Architektur als Rhetorik

Kommunikation, rhetorische zumal, ist ein Mittel, mit dem bestimmte Ziele und Absichten erzielt werden sollen. So gesehen kann man aus Äußerungen Vermutungen über die Absichten des Senders anstellen. Was will er bezwecken, welche Probleme sollen gelöst werden, welches Publikum soll angesprochen werden? Das wird in der gesprochenen Sprache meist offen ausgesprochen (Logos). Architektur als Überzeugungsmitteln gestaltet vor allem den Charakter (Ethos) und will auch das Publikum beeinflussen (Pathos). Das, was Aristoteles als Charakter oder Ethos bezeichnet, wird heute am ehesten unter Image verstanden. Schularchitektur rhetorisch betrachtet gibt Aufschluss darüber, wie das Image der Einrichtung Schule im Allgemeinen und das der jeweiligen Schule im Besonderen aussehen soll. Die Architektur soll Ernsthaftigkeit, Rationalität, Rücksicht auf den Einzelnen, Öffentlichkeit … der Schule kommunizieren. Noch mehr sollen unangebrachte Vorstellungen vermieden werden wie: Gemütlichkeit, Spaß, Kitsch, Irrationalität, Unterhaltung, Zeitvertreib, Beliebigkeit … Das kann und soll nicht absolut, sondern graduell vermieden werden. Die Gestaltung der Schule soll kurz gesagt ihrem Auftrag der Bildung und Ausbildung des Nachwuchses angemessen sein. Diese Angemessenheit lässt sich in aller Regel bis in kleinste Gestaltungselemente zeigen.

Rhetorik als Analyse- und Gestaltungswerkzeug für Architektur

Die klassische Rhetorik hat sich in den Demokratien des antiken Griechenlands entwickelt. Sie ist einmal eine Methode der Überzeugung, zum anderen bietet sie aber mit ihren zentralen Begriffen auch eine Theorie, um Kommunikation zu analysieren und zu verstehen. Theorie und Praxis gehen dabei Hand in Hand. Wenn wir Architektur als visuelle Rhetorik im multimodalen Kommunizieren der Einrichtung Schule betrachten, dann können wir viel über die semiotischen und kommunikativen Möglichkeiten von Architektur im Allgemeinen und über den Charakter der Schule im Speziellen erfahren. Daraus lassen sich gezielt Änderungen diskutieren und praktisch umsetzen.

Die Beschäftigung mit Schularchitektur kann der Aufklärung und kritischen Würdigung der Einrichtung Schule dienen. Sie leistet damit einen Beitrag zur politischen Bildung. Sie kann aber ebenso Bedingungen und Vorstellungen von Schule, Unterricht, Wissen und Lernen verständlich machen und damit einen wesentlichen Beitrag zur Metakognition leisten.

(Rittelmeyer, 2009, überschreibt ein Kapitel mit Rhetorik, geht aber nicht auf die Frage der „überzeugenden Rede“ ein, sondern befasst sich damit, was Architektur „sagt“.)

Das Angebot an Grundrissen, Möbeln, Materialien, Farben, Pflanzen, Bildern und anderen Wohnaccessoires und deren Kombinationsmöglichkeiten sind in der Konsumkultur schier unendlich (Billmayer 2011). Das führt dazu, dass Architektur heute in allen Bereichen – privat, öffentlich, ökonomisch – ein zentrales Kommunikationsmittel ist. Dabei ist der Code in einem historisch einmaligen Ausmaß ausdifferenziert. Architektonisches Gestalten und Verstehen können wir nahezu als Kulturtechnik verstehen, die erlernt werden kann. Der Kunstunterricht ist dafür ein geeigneter Rahmen und die Schule ein geeignetes Lernobjekt, wie sich oben gezeigt hat.

Möglichkeiten

Die folgenden Begriffn sollen Lust machen und Ideen liefern, wie Schularchitektur rhetorisch betrachtet werden kann. Aus der Sicht der Rhetorik geht es vor allem um die Angemessenheit der Äußerung, bei der Schule etwa um Glaubwürdigkeit, um das Vermeiden von Lächerlichkeit und Unverbindlichkeit, um den Eindruck von Ordnung und Rücksicht. Es geht um das Image der Institution und um Gefühle und Einstellungen, die bei den SchülerInnen erzeugt werden sollen. (Respekt vor und Zuneigung zur Einrichtung &c.)

Grundrisse, Muster und Farben der Vorhänge in den Klassenzimmern, Toilettenhinweisschilder, Bilder, Materialien, Farben, Pflanzen drinnen und draußen, Vermeidung von Gemütlichkeit, Oberflächen der Schultische, Beschriftung der Räume, Raumhöhen, Fenstergrößen, Türen, Eingangssituation, geografische Lage, Sauberkeit, gerade und schief gehängte Plakate, Raumverteilung, Möblierung der Räume, verschiedene Grade von Öffentlichkeit, Beleuchtung, Türgriffe, Textilien, weiche und harte Materialien, offizielle Schriftarten, Schriftgrößen, Schriftfarben, Vergleiche mit anderen öffentlichen und privaten Bauten. Hier kommt wie so oft mit dem Austauschtest weiter.

Zu guter Letzt

Wo lassen sich Inkonsequenzen, Schwindeleien und offensichtliche Lügen in der Rhetorik der Schularchitektur finden?

Literatur:

ARISTOTELES: Rhetorik. Stuttgart 1999.
BILLMAYER, Franz: Shopping. Ein Angebot zur Entlastung der Kunstpädagogik.
K
ELLER, Rudi: Zeichentheorie. Tübingen und Basel: A. Francke Verlag, 1995
KRESS, Gunther: Multimodality. London 2010.
RITTELMEYER, Christian: Schulbauten als semiotische Szenerien: Eine methodologische Skizze, in: Böhme, Jeanette (Hrsg.): Schularchitektur im interdisziplinären Diskurs. Territorialisierungskrise und Gestaltungsperspektiven des schulischen Bildungsraums. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009.