Hier ein ähnlicher Text von mir zur Schularchitektur.
Im Kunst+Unterricht-Heft (K+U 293) zum Thema Architektur kommt Schularchitektur lediglich in Form der Erkundung des Heizkellers vor. Hm.
Schülerinnen und Schüler werden nach den Ferien oder am ersten Schultag gerne mit den Worten begrüßt und gemahnt, nun beginne aber der Ernst des Lebens. Wie unterstützt die Schularchitektur diese Aussage?
In dieser Aufgabe wird die Schularchitektur mit Hilfe der Semiotik (Lehre von den Zeichen) und der Rhetorik (Lehre der überzeugenden Kommunikation) untersucht. Es geht um die kommunikative Seite der Architektur und nicht um deren Erfahrungs- und Erlebnisqualitäten.
Überzeugungsmittel nach Aristoteles
- Der Charakter des Redners (ἦθος ē̂thos)
- Die Emotionen des Publikums (πάθος páthos)
- Das Argument (λόγος lógos)
Zeichenarten nach Rudi Keller
Der Sprachwissenschaftler Rudi Keller arbeitet mit einem instrumentellen Zeichenbegriff. Er unterscheidet drei Zeichenarten nach der Methode des Interpretierens/Schließens:
- Symptome – Ursache und Wirkung
- Ikone – Ähnlichkeit
- Symbole – Übereinkunft/Konvention
Schularchitektur untersuchen
Untersuchen Sie die Architektur Ihrer Schule unter dem Aspekt überzeugende Kommunikation. Beziehen Sie sich dabei auf die Überzeugungsmittel von Aristoteles und die Zeichenkategorien bei Rudi Keller.
Die folgenden Fragen helfen Ihnen dabei weiter.
Ethos
– Wie werden mit Hilfe der Materialien Ernst und Bedeutung der Institution Schule mitgeteilt? Bodenbeläge, Baumaterialien, Decken, Wände, Beleuchtung …
– Wie werden Ernst und Bedeutung der Institution Schule durch Grundriss und Raumaufteilung mitgeteilt?
– Welche Rolle spielen dabei Farben und Beleuchtung?
– Welche Rolle spielen die Möbel (Material, Anordnung, Farbe, Größe)
– Welche Rolle spielen einzelne Architekturelemente wie Eingang und Fenster?
– Welche Rolle spielen Bilder (und eventuell andere Dekorationen) an den Wänden?
– Wie ist das grafische Erscheinungsbild der Schule – Beschriftungen, Orientierungssysteme? Welche Schriftgrößen und -arten werden verwendet?
– Welche Umgangs- und Bewegungsformen werden durch die Architektur befördert?
– Wie hängen diese mit dem Charakter der Institution Schule zusammen?
– Welche Fragen lassen sich noch finden?
Pathos
– Welche Gefühle und Emotionen werden bei Schülerinnen und Schülern durch Architektur und Einrichtung ausgelöst werden?
– Welche Gestaltungsmerkmale sind für die verschiedenen Gefühlsreaktionen warum verantwortlich?
– Welche Unterschiede bestehen zwischen Fachräumen und Klassenzimmern?
– Welche Unterschiede bestehen in der Einrichtung von Klassenzimmern verschiedener Altersstufen?
– Welche Räume und Materialien schüchtern ein? Welche Räume und Materialien geben Sicherheit?
Logos
Welche Hinweise auf „Argumente“ gibt es in der Architektur?
Tipps
Mit Hilfe des Austauschtests lassen sich die Bedeutungen verschiedener Architekturelemente untersuchen. Dabei stellt man sich vor, was wäre, wenn ein bestimmtes Element anders wäre, z.B.:
– Teppich statt Linoleum
– Holz statt Betonr
– gemusterte Vorhänge statt einfarbig
– geschwungene Gänge statt rechtwinklig.
In einer gestalterischen Arbeit können Alternativen zur bestehenden Architektur in Montagen und Modellen visualisiert werden.
Historische Vergleiche lassen die jetzigen Vorstellungen deutlicher werden, ebenso Vergleiche mit Schulen in verschiedenen Ländern (Bildersuche mit fremdsprachlichen Entsprechungen zu Schule und Klassenzimmer).
Alternativen
Entwerfen Sie zur Architektur Ihrer Schule Alternativen, die für die Beteiligten an der Grenze zwischen Ernst des Lebens und Unernst liegen, vgl. hierzu die Gerade-noch-Methode. Finden Sie andere „Grenzen“, an denen entlang Sie Alternativen entwickeln.
Vorschläge:
Schule – Kaserne,
Schule – Erlebnispark,
Schule – Hotel,
Schule – Tagungsstätte,
Schule – Industriebetrieb …
Begründen Sie die Wahl der Materialien und der Raumgestaltung.
Planspiel
Sie sind in der Schulleitung tätig. Eltern wie Schülerinnen und Schüler beklagen sich immer wieder darüber, dass die Architektur der Schule kalt, abstoßend und unmenschlich sei. Der Schulträger bemängelt die überdurchschnittlich hohen Reparaturkosten, die anfallen. Der Grund könnte darin liegen, dass die Schülerinnen und Schüler die Architektur ablehnen.
Sie erhalten die Summe von 30.000 € für Gegenmaßnahmen. Überlegen Sie in kleinen Gruppen von 3-5 Mitgliedern, worin die Kritik an der Architektur liegen könnte und mit welchen Mitteln und Maßnahmen positive Veränderungen erreicht werden, ohne den Anspruch, eine Schule zu sein, aufzugeben.
Architektur als Zeichen
Neben der funktionalen hat Architektur (fast) immer auch eine zeichenhafte Seite. Wie anderes auch können wir Architektur interpretieren. Immer wenn Wahlmöglichkeiten bestehen, gehen wir davon aus, dass hinter Erscheinungen Entscheidungen stehen. Aufgrund dieser Entscheidungen ziehen wir Rückschlüsse auf diejenigen, die die Entscheidung getroffen haben.
Dass wir alles dies interpretieren können, heißt noch nicht, dass unser Gegenüber uns dies auch bewusst mitteilen will. Schularchitekturen folgen oft Traditionen, die den Bauherrn und den Architekten nicht immer bewusst sein müssen.
Von den durch die Rede geschaffenen Überzeugungsmitteln gibt es drei Arten: Sie sind zum einen im Charakter des Redners angelegt, zum anderen in der Absicht, den Zuhörer in eine bestimmte Gefühlslage zu versetzen, zuletzt in der Rede selbst, indem man etwas nachweist oder zumindest den Anschein erweckt, etwas nachzuweisen. Durch den Charakter geschieht dies, wenn die Rede so dargeboten wird, daß sie den Redner glaubwürdig erscheinen läßt. Den Anständigen glauben wir nämlich eher und schneller, grundsätzlich in allem, ganz besonders aber, wo es eine Gewißheit nicht gibt, sondern Zweifel bestehen bleiben. Doch auch das muß sich aus der Rede ergeben und nicht aus einer vorgefaßten Meinung über die Person des Redners. Nicht trifft zu, wie manche der Fachtheoretiker behaupten, daß in der Redekunst auch die Integrität des Redners zur Überzeugungsfähigkeit nichts beitrage, sondern fast die bedeutendste Überzeugungskraft hat sozusagen der Charakter. Mittels der Zuhörer überzeugt man, wenn die durch die Rede zu Emotionen gelockt werden. Denn ganz unterschiedlich treffen wir Entscheidungen, je nachdem, ob wir traurig oder fröhlich sind, ob wir lieben oder hassen. Nur damit suchen, wie ich meine, die derzeitigen Theoretiker der Rhetorik sich zu beschäftigen… Durch die Rede endlich überzeugt man, wenn man Wahres oder Wahrscheinliches aus jeweils glaubwürdigen Argumenten darstellt.
Aristoteles (1999). Rhetorik. Stuttgart: RECLAM UNIVERSAL BIBLIOTHEK S.12.
Wie wirkt Raum auf den ersten Blick?
Welche Altersstufe wird in diesem Raum vermutlich unterrichtet? Begründung.
Welche Vorstellung von Schule und der Rolle der Schülerinnen und Schüler zeigt sich hier? Wie schätzen die Verantwortlichen die rhetorische Situation ein? Welches Problem wollen sie lösen?
Beachte die Wirkung der „Farbtemperatur“
zuerst veröffentlicht 01. 10. 2006
überarbeitet am 23. 04. 2019